HAZ Artikel von Dirk von Werder am 27.03.2023
Sozialarbeiter Hannes Maas bot 1972 einen Karatekurs an. Da waren Olympische Spiele in Deutschland, aber dieser Sport noch keine Olympische Disziplin. Ein Jahr später entstand Oyama Karate Kai, der Verein wird 50.
Neustadt. Die Stadt war bereit für das Experiment: Im Januar 1973 gründeten 20 Sportler den Oyama Karate Kai. Der Verein mit diesem zunächst gewöhnungsbedürftigen Namen entwickelte sich zum bundesweit anerkannten Kampfsportverein mit herausragender Jugendarbeit. Im Juli soll das Jubiläum mit einem rauschenden Fest gewürdigt werden.
Die Eckdaten klingen beinahe langweilig: Kein Skandal in fünf Jahrzehnten, keine Finanzprobleme und über den kompletten Zeitraum nur zwei Geschäftsführer: Mutter und Sohn Winkler.
Hannes Maas macht den Anfang
Doch ganz zu Beginn war da ein mutiger, städtischer Sozialarbeiter namens Hannes Maas. Der hatte im Sommer 1972 im Freizeitzentrum Leinepark an der Suttorfer Straße einen Karatekurs angeboten. Ziele: körperliche Fitness und Fairness anderen gegenüber. Es war das Jahr der Olympischen Spiele in München, Karate stand nicht auf der Liste der Disziplinen. Was sollte das also bringen?
„Die Zeit war reif für Karate“, erinnert sich Jürgen Winkler. „Es kam eine richtige Welle auf uns zu mit Fernsehserien, Kinofilmen mit Bruce Lee und anderen Kampfsportlern.“ Winkler, damals 13 Jahre alt, war einer der ersten, die sich zu einem der Kurse bei Maas anmeldeten. Und als zu Jahresbeginn 1973 rund 20 Neustädter den neuen Verein gründeten, war Mutter Anny Winkler dabei: mehr ehrenamtlich als sportlich engagiert wurde sie Geschäftsführerin und übergab dieses Amt 20 Jahre später an Junior Jürgen Winkler.
Frösche und Ermittler, die Bandbreite ist groß
Winkler, bis zur Pensionierung vor zwei Jahren Neustadts oberster Kriminalermittler, trägt auch im Jubiläumsjahr noch immer die Verantwortung für den laufenden Betrieb. Vorsitzender ist Stefan Bark, Karatekämpfer wie Winkler und weitere rund 50 Aktive unter den 175 Mitgliedern. Und dann sind da noch 65 „Frösche“, die in drei Altersklassen den Nachwuchs des Vereins bilden. Spielerisch werden sie an den Sport herangeführt, an Fairness, an Disziplin. „Karate ist ein ehrlicher Sport“, sagt Vorsitzender Bark. Ein ehrlicher Sport, der auch im fortgeschrittenen Alter körperlich wie geistig fit hält, bestes Beispiel ist Horst Rüdiger, vor wenigen Wochen 70 Jahre alt geworden und Ausbilder der zweitjüngsten der „Frösche“, der sechs- bis achtjährigen Kinder.
Karate ist auch bei Eltern „in“, für die Gruppen gibt es Wartelisten. Leidiges Problem für den Verein, ähnlich wie bei Sportvereinen oder auch Feuerwehren: in späteren Jahren, wenn die Kinder flügge werden, bleiben sie vielfach nicht dabei. Wer Oyama treu bleibt, weitermacht, in die Vollkontaktsportart einsteigt, findet in Neustadt indes beste Voraussetzungen.
Der Verein hat nach Stationen an der Leinstraße und an der Hans-Böckler-Schule seit 1994 eine Werkhalle an der Kurzen Straße (zwischen Nienburger- und Königsberger Straße) gemietet, hat diese über die Jahre zum nahezu perfekten „Dojo“ ausgebaut, dem Vereins- und Trainingsstandort. Dreimal in den vergangenen Jahren haben die Neustädter vor Ort Deutsche Meisterschaften ausgetragen, haben international erfolgreiche Sportler in ihren Reihen und einen Cheftrainer, Wolfgang Pech, der Träger des 6. DAN ist, des höchsten bisher in Deutschland erreichten Schwierigkeitsgrades. Athleten wie Andreas Battermann oder Mark Rudolph sind mehrfache Deutsche Meister, Christian Dyck qualifizierte sich gar für Welttitelkämpfe.
Und wer fit bleiben will, ohne um sportliche Ehren zu kämpfen, ist bestens bei Oyama aufgehoben. Karate ist Breitensport, erläutert Winkler, entscheidender als Schlagkraft oder Stehvermögen sei allenthalben die Kopfarbeit. Das Jubiläum wird selbstredend auch gefeiert am Sonnabend, 1. Juli, zunächst am und im Dojo Kurze Straße, später dann am und im Schützenhaus an der Suttorfer Straße.
Verletzungen? Nur, wenn ein Ball mit im Spiel war.
Karate ist eine vielseitige Angelegenheit. Sportler und Sportlerin können wählen – ganz nach Geschmack und vor allem Leidensbereitschaft. Wer wenig Lust auf Schmerzen und blaue Flecke hat, der ist beim Schattenboxen gut aufgehoben, das dennoch jeden Sportler und jede Sportlerin fordert. Denn auch dabei gilt es, vermeintliche Angriffe abzuwehren, aber ohne direkten Körperkontakt. Gegenpol ist das klassische Vollkontaktkarate, da geht es spürbar in die Vollen, „da tut es natürlich auch schon mal weh“, weiß Vereinsvorstand Stefan Bark.
Immerhin: Die Faust darf nur gegen den Körper des Gegners eingesetzt werden, aber nie gegen das Gesicht. Klingt gut, hat aber einen Haken: Der Fuß darf sehr wohl im Gesicht des oder der anderen landen, das ist dann halt eine Frage der Beweglichkeit: Wie hoch kommt das Bein, wie tief der Kopf? In jedem Fall gilt: Schmerzen gehören zum Wettkampf, Verletzungen in der Regel nicht. Im Trainingszentrum von Oyama in Neustadt sind Verletzungen eine Ausnahme: „Die kamen bisher eigentlich nur vor, wenn ein Ball im Spiel war“, erzählt Bark. Soll heißen: wenn den Kampfsportlern nach dem disziplinierten Training noch der Sinn nach einem Spielchen mit dem Fußball stand…
Der Vorstand des Oyama Karate Kai e.V.
Kai Rüprich, Jürgen Winkler, Stefan Bark, Dietmar Birkenfeld, Dr. Franziska Köhne